Unverhältnismäßigkeit:

 

Der Auftragnehmer kann gem. § 635 Abs. 3 BGB den geltend gemachten Anspruch auf Nacherfüllung dann verweigern, wenn dieser nur mit „unverhältnismäßigen Kosten“ verbunden ist.

 

 

§ 635 Abs. 3 BGB:

 

Der Unternehmer kann die Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3 verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.

 

 

§ 13 Abs. 6 VOB/B:

 

Ist die Beseitigung des Mangels für den Auftraggeber unzumutbar oder ist sie unmöglich oder würde sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern und wird sie deshalb vom Auftragnehmer verweigert, so kann der Auftraggeber durch Erklärung gegenüber dem Auftragnehmer die Vergütung mindern (§ 638 BGB).

 

 

Ein solcher unverhältnismäßiger Aufwand ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn einem objektiv nur geringen Interesse des Bestellers an einer vertragsgemäßen Leistung ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweiser unangemessener Aufwand gegenüber steht. Dieser Einwand der Unverhältnismäßigkeit ist allerdings nur dann ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn das Bestehen des Auftraggebers auf einer vertragsgemäßen Vertragserfüllung im Verhältnis zu dem hierfür erforderlichen Aufwand – unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles – einen „Verstoß gegen Treu und Glauben“ darstellt.

 

 

Beispiel:

Bauherr B beauftragt Malermeister M sein gesamtes Bürogebäude mit einer bestimmten Tapete des Modells „Struktur grob“ zu taperzieren und anschließend zu überstreichen. Maler M bestellt daraufhin entsprechende Tapeten und bringt die gelieferten Tapeten auf die Wände fachgerecht auf und erbringt die entsprechenden Malerarbeiten. Nach Fertigstellung der Arbeiten wird festgestellt, dass wohl von dem Lieferanten die falsche Ausführung mit „Struktur mittel“ geliefert und von M Aufgebracht wurde, was M nicht aufgefallen ist. In rechtlicher Hinsicht ist die erbrachte Werkleistung mangelhaft, weil sie nicht der vertraglichen Vereinbarung („Struktur grob“) und damit der geschuldeten Soll-Beschaffenheit entspricht. Macht nunmehr Bauherr B einen Anspruch auf Neuherstellung der Tapeten in der „Struktur grob“ geltend, könnte M dieses Nachbesserungsverlangen wegen Unverhältnismäßigkeit zurückweisen. Objektiv nachvollziehbare Gründe für das Nachbesserungsverlangen wären nämlich – im Verhältnis zu den Kosten der Nachbesserung – nicht ersichtlich. 

 

Beispiel:

Bauherr B beauftragt Installateur I die Wasserleitungen seines Bürogebäudes in „Edelstahl“auszuführen. Vertragswidrig verwendet I statt Edelstahl-Rohren jedoch Rohre aus „Kunstoff“. Geht man davon aus, dass Edelstahl-Rohre eine größere Lebensdauer aufweisen und für eine thermische Desinfektion besser geeignet sind, als die verbauten Kunststoff-Rohre, stellt es keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn B eine Nachbesserung durch vollständigen Austausch der unzutreffenden Leitungen verlangt. Dies gilt selbst dann, wenn die Leitungen bereits vollständig unter Putz verlegt und die Wandoberflächen fertiggestellt sind. I kann sich also gerade nicht auf eine Unverhältnismäßigkeit der verlangten Nachbesserung berufen.

 

 

Anerkanntermaßen ist bei der vorzunehmenden Abwägung auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit ein Verschulden des Auftragnehmers für das Vorliegen des Mangels gegeben ist. Hat der Auftragnehmer bewusst und ggf. „sehenden Auges“ die Leistung mangelhaft bzw. vertragswidrig ausgeführt, wird er sich kaum auf eine spätere Unverhältnismäßigkeit der Nachbesserung berufen können. Trifft ihn demgegenüber kein Verschulden, weil beispielsweise ein unbemerkter Produktionsfehler des Materials vorgelegen hat, kommt deutlich eher eine Unverhältnismäßigkeit der Nachbesserung zu Gunsten des Auftragnehmers in Betracht. 

 

Kann der Auftragnehmer berechtigterweise die verlangte Nacherfüllung wegen „Unverhältnismäßigkeit“ verweigern, kann der Auftraggeber nur Ersatz des mangelbedingten Minderwertes der Werkleistung verlangen. Dabei hat sich dieser mangelbedingte Minderwert an dem Wert der erbrachten Werkleistung und nicht an den erforderlichen Nachbesserungskosten zu orientieren (Entscheidung einsetzen!)

 

 

Beispiel:

Installateur I unterläuft bei der Wärmebedarfsberechnung ein Berechnungsfehler, so dass die eingebrachte Fußbodenheizung geringfügig unterdimensioniert ist, wobei für den vollständigen Austausch der Fußbodenheizung Kosten in Höhe von 60.000,00 € erforderlich wären, denn der Estrich und die Bodenbeläge sind bereits vollständig fertiggestellt. Geht man davon aus, dass die Unterdeckung der Heizungsleistung nur ganz geringfügig und daher ein Nachbesserungsverlangen unverhältnismäßig ist, hat sich der Minderungsbetrag nicht an den Nachbesserungskosten in Höhe von 60.000,00 €, sondern vielmehr an den ursprünglichen Herstellungskosten von 20.000,00 € zu orientieren. Geht man von einem lediglich geringfügigen Minderwert der Werkleistung aus, käme ggf. ein mangelbedingter Minderwert von 10% der Auftragssumme, mithin von 2.000,00 € in Betracht. 

 

 

Praxistipp:

In der Praxis wird von Auftragnehmerseite oft und regelmäßig der Einwand einer vermeintlichen Unverhältnismäßigkeit erhoben. Nachdem der BGH jedoch den Fall der Unverhältnismäßigkeit auf einen Verstoß gegen „Treu und Glauben“ beschränkt hat, dürfte eine tatsächliche Unverhältnismäßigkeit nur noch in geringen Ausnahmefällen gegeben sein. In der Regel dürfte der Anwendungsfall beschränkt sein auf optische Mängel, da bei technischen Mängeln –insbesondere mit der Gefahr von Folgeschäden - ein Verstoß gegen Treu und Glauben wohl nicht anzunehmen sein dürfte, wenn der Bauherr eine fachgerechte und technisch mangelfreie Ausführung verlangt.